Fürbittengebet vom 22.3.2020

Du Gott,
unsere Seelen sind wie aufgeschreckte Vögel,
zitternd, weil sie nicht wissen wohin.
Wohin mit unserer Hilflosigkeit,
wenn sich unser Verstehen Stunde um Stunde neu der Situation anpassen muss.
Wohin mit den Aktionen und vielen Ideen,
mit denen wir unsere Ohnmacht im Zaum halten,
mit denen wir helfen wollen, und wir wissen nicht wie.

Gott, wir klagen Dir die Toten.
Wir klagen Dir das Tempo, in dem das Sterben in Italien um sich greift.
Den Kummer der Krankenschwester in Bergamo, die gesagt hat,
dass sie die Toten nicht mehr zählen konnten.
Du kannst sie zählen.
Du weißt zu jedem Sarg den Namen und die ganze Geschichte,
jeden Tag eines gelebten Lebens,
sind auch noch so viele Särge gestapelt im Militär-LKW.

Bitte verbinde unsere Bitten mit denen der Trauernden.
Bitte lass uns spüren, dass Du uns hörst. Oder lass es uns ahnen, wenigstens.
Dass Du keinen einzigen Deiner Menschen aufgibst.
Dass Du die Stärke derer bist,
die alle Kraft geben,
die versuchen, ihre Verzweiflung nach hinten zu schieben
um weiter arbeiten zu können.

Sei Du die verzweifelte Menschlichkeit
mitten in der Zerrissenheit derer,
die mit einer Triage Entscheidungen treffen – müssen –
über Lebenschancen und Aufgeben eines Lebens.
Sei Du der Trost derer, die alleine sterben müssen,
weil ihre Angehörigen wegen der Ansteckungsgefahr nicht zu ihnen dürfen.

Du bist groß in den Krankenschwestern und Krankenpflegern,
in den Ärztinnen und Ärzten,
die den Gedanken daran, sich selbst anzustecken, zur Seite schieben.
Du bist groß in denen, die Gelassenheit und besonnenes Handeln verkörpern.
Du bist groß auch in unserer diffusen Angst
gehst mit hinein
entziehst Dich nicht Deiner ohnmächtigen Welt.

Wir bitten Dich für die (vielleicht älteren) Menschen, die die Vielzahl der Informationen, die auf sie einprasseln, vielleicht gar nicht alle verstehen können.
Und wir gehören auch dazu.
Wir bitten Dich für die (vielleicht jüngeren) Menschen, die sich an der Ausbreitung des Virus schuldig machen,
weil sie unbedacht sind oder zu wenig erwachsen, um die Situation zu überblicken.
Und wir gehören auch dazu.

Wir bitten Dich für die Familien mit kleinen Kindern,
denen der Tag lang wird ohne Abwechslung und Freundinnen und Freunde,
für alle, die gereizt und ungeduldig werden, weil der Alltag und seine haltende Struktur fehlt.
Wir bitten Dich für die, die alleine wohnen und die sich fragen, wie lange sie diese Zeit der sozialen Distanzierung seelisch aushalten können.
Wir bitten Dich für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen,
denen der Aufbruch in die Welt mit einem übergroßen Fragezeichen versehen ist,
für die Schülerinnen und Schüler, deren Abiturprüfungen ungewiss sind und deren Abiball abgesagt wurde.
Wir bitten Dich für die Konfirmandinnen und Konfirmanden, deren Abschlussfahrt abgesagt und deren Konfirmationsfest verschoben wurde.
Wir bitten Dich für die ganz „normal“ Kranken, von denen es keinen Deut weniger gibt als sonst,
deren Behandlungen und Operationstermine nicht eingehalten werden können.

Zu Dir wenden wir uns Gott, Ewige,
nach Dir rufen wir, unser Tröster.
Halte unsere Ohnmacht mit uns aus.
Du leidest mit uns
wir hoffen mit Dir
wir verbinden uns in Deinem Namen
aller räumlichen Distanz zum Trotz
Höre unser Gebet
Zeige uns den Weg
den wir gehen können.
Amen

(Katrin Friedel)